Wie motivieren? „On fire“ ohne zu verbrennen. Für Normalos und ADHS-Dopamin-Junkies.

04.01.2025

Dieser Artikel ist entstanden, nachdem ich mit meiner lieben Freundin Franzi über das Konzept Slow Productivity gesprochen habe. Ihr erzählte ihr vom Prinzip „Do fewer things“. Dass diese Idee, weniger Aufgaben anzunehmen, vielleicht den Kreislauf aus Überreizung und Lähmung durchbrechen kann, der mich oft so sehr quält.

Nun ist Franzi Radio-Moderatorin und nicht Dentistin, und doch zog sie mir diesen Zahn. Indem sie Folgendes sagte – sinngemäß. (Also: Ich verstand das so oder habe es so abgespeichert. Whatever.)

Aber wenn du weniger Dinge an dich nimmst, lieber Markus, dann fehlt dir doch irgendwie die Dringlichkeit, Dinge zu erledigen. Von der du eben erzähltest.

Franziska Schütz

Welcome …

Da war ich erst einmal baff. Hatte sie da etwas sehr Richtiges gesagt?

Wie ich darauf komme? Wie ich das meine?

Entpacken wir das mal:

Was sie mit „was du eben erzähltest“ meinte, war dass wir auch darüber geredet hatten: Neurotypische Menschen priorisieren Aufgaben nach ihrer Wichtigkeit. Was am wichtigsten ist, das wird zuerst beachtet und gegebenenfalls erledigt. Für Personen mit einem Crazy Shit ADHS-Gehirn funktioniert das aber nicht.

Vorab dies: Das worum es in diesem Beitrag gehen wird, ist nicht spezifisch für Personen im ADHS-Spektrum. Es geht um ein Gedankenspiel, das für jeden interessant sein kann.

„Wichtigkeit“ spielt also keine Rolle. Das dafür notwendige Motivations-Hormon Dopamin ist nicht ausreichend vorhanden. Alles ist gleich wichtig und gleich unwichtig.

So entwickeln sich im Laufe der Zeit stattdessen andere Impulsgeber für anstehende Aufgaben.

… to the Pleasure Dome

Zum einen die pure Lust. Angepackt wird, was Spaß macht. Worauf man so richtig Bock hat. Das führt zwar kurzfristig zu einem Gewinn an Vergnügen, Freude und Befriedigung. Oft genug sind die Aufgaben, die man erledigt, eben nicht diejenigen, die eine Priorität mit fünf Sternen haben. Fast nie. Diese werden weiter ignoriert und liegen gelassen. Bis es nahezu zu spät ist und der darin liegende Termin und die Deadline nicht mehr zu schieben ist. Oder fatalerweise bereits gerissen wurde. „Dringlichkeit“ wird so zu einem weiteren primären externen Motivator und eigentlichen Ersatz der „Wichtigkeit“.

Anders gesagt: Es ist unmöglich, wichtige von unwichtigen Dingen zu unterscheiden. Die Notwendigkeit etwas zu erledigen ergibt sich letztlich ausschließlich aus der Dringlichkeit. Deadlines, Steuertermine, Verabredungen. Oft erledige auch ich Dinge auf dem allerletzten Meter. Dann zwar gut und richtig, aber doch so knapp, dass nichts schiefgehen darf. Das funktioniert – in der Regel. Aber es ist eben auch purer und eigentlich vermeidbarer Stress.

… Harhahar! Welcome!!!

Und äußerst ungesund. Denn Dringlichkeit wird nicht durch Dopamin ausgelöst, sondern durch Adrenalin. Einem Hormon, das dazu da ist, unseren Organismus auf die Abwehr einer akuten Gefahr vorzubereiten. Durch die Abschaltung von Funktionen, die kurzzeitig verzichtbar sind damit andere Prozesse mit maximaler Energie angefeuert werden können. Der Stoffwechsel wird verlangsamt um Energie zu sparen. Das Herz rast um die Verteilung von Hormonen zu beschleunigen. Muskeln werden angespannt, damit diese reflexartig eingesetzt werden können. Für die Flucht, den Kampf und das Totstellen.

„Stress“ heißt dieser Zustand. „Anspannung“ eben. In kurzen Schüben bei Gefahr für Leib und Seele hilfreich. Auf Dauer aber ungesund und bei der Steuererklärung wenig hilfreich. Was mit Materie passiert, die unter ständiger Anspannung gehalten wird oder einem System, das mit zu viel Energie befeuert wird, dürfte klar sein.

Es zerreißt. Es verbrennt.

Hey: Relax, don't do it!

Als ich einige Tage später über Franzis Satz nachdachte und darüber ins Journal schrieb, fragte ich mich, ob ich diese „Dringlichkeit“ letztlich durch einen anderen Motivator ersetzen sollte. Denn würde ich weniger Aufgaben auf dem Zettel haben, könnte ich diese endlich vorab zeitlich sauber planen. Eine Planung, die gar nicht möglich ist, wenn es mehr zu tun gibt, als Zeit da ist. So ein System kann man zwar aufstellen. Aber es bricht direkt zusammen, weil es per Definition überlastet ist. Also wird eben erledigt, was am wichtigsten ist. Oder eben am lautesten schreit. Oder man verfällt in das sogenannte „italienische Postprinzip“: Was zuletzt reinkommt wird zuerst erledigt.

Aber angenommen, ich habe nun einen prinzipiell umsetzbaren Plan. Dann müsste ich ja noch immer der Falle entgehen, die jetzt gewonnene Zeit nicht wieder durch der Göttin des Lust-Prinzips und ihrem Fan-Club an meist unwichtigen Aufgaben zu opfern.

Aber könnte ich diese „Lust“ nicht mir zur Dienerin machen? Sie so umfunktionieren, dass sie der Umsetzung des Plans dient? Wenn ich mir die Aufgaben nicht anhand der Wichtigkeit betrachte, sondern auf Basis des intrinsischen Lustgewinns betrachte, der jeweils in ihnen steckt, nachdem ich ihre „Dringlichkeit“ durch eine gute zeitliche Planung im Vorhinein definiert habe.

Jetzt galt es nur noch herauszufinden, was an einer Aufgabe Lust machen kann, die oberflächlich betracht lustlos erscheint. Also machte ich eine Liste von Aspekten in den Dingen, die mich im Alltag und Job beschäftigen, die mir Freude machen können.

Mir fielen die Folgenden ein.

Braindump einiger Motivatoren

„Social Credit“ als Motivator

„Dinge tun, damit man besser da steht.“ So könnte man dies zusammenfassen. Grundsätzlich ist das nicht verwerflich, gemocht zu werden. Aber als Person, die in einem heavy narzisstischem Umfeld aufgewachsen ist, habe ich für diesen Antrieb mehr Antennen als Abhörspezialisten der Stasi sie haben. Also hat mich das körperlich geschmerzt, das hinzuschreiben. Auch, weil ich durch Vorleben gelernt hatte, narzisstisch zu denken und zu handeln in jungen Jahren. Obwohl ich das nie war oder bin. Im Nachhinein ist damit viel Reue und Scham verbunden. Schlimme Gefühle, die man nicht fühlen möchte. Dies fällt für mich also raus. (Falls ihr mich trotzdem mögt für das, was ich tue: nur Liebe für Dich.)

„Geld“ als Motivator

Als kreativer Dienstleister und Kreativunternehmer ist das intrinsisch. Wir sind wirtschaftlich von unserer Kreativität abhängig. Demnach ist „Geld“ und „Geld verdienen“ so ein Motivator, über den man gar nicht viel nachdenkt. Auf der anderen Seite ist es für mich ein eher schwacher Motivator. Alles, was ich tue, mache ich aus der puren Lust am Kreativ sein, Handwerk und Lernen. „Geld“ war da von Beginn an ein Nebenprodukt.

Dennoch führe ich es hier auf. Denn – ebenso wie das „Lernen“ (siehe unten), kann man es natürlich auch wie ein Tool nutzen. Wie eine Möhre, die man vor sich her trägt. Denn Geld ist Energie. Und wenn wir Energie erzeugen können, ist das eine gute Sache.

„Handwerkerfreude“ als Motivator

Ich hatte Franzi auch getroffen, um ihr ein Geschenk zu überreichen. Zu dem Geschenk hatte ich eine Karte gemacht. Und für die Karte einen Umschlag. Ich hätte einfach einen Umschlag aus dem Drogerie-Müller-Regal nehmen können. Stattdessen aber hatte ich einfach Bock, puren Bock, etwas zu basteln.

Also nahm ich eine Papiertüte von einem Markt aus Covent Garden, schnitt sie zurecht, klebte sie wieder zusammen und fertig war ein Unikat. Es war nicht perfekt (siehe unten), ich glaube, Franzi hat das nicht bemerkt (siehe oben), aber mir hatte es Freude gemacht. Wenn es nun in der Müllverbrennungsanlage in Bielefeld Heepen landet: „So what!?“ Die Tüte hatte ihren Zweck erfüllt. Ihre Notwendigkeit zu existieren hatte mich motiviert, handwerklich und damit kreativ tätig zu werden.

„Lernen“ als Motivator

Dies ist, neben der Dringlichkeit, mein zweitstärkster Motivator. Stunde um Stunde habe ich als Jugendlicher in der Bücherei in Gütersloh abgehangen, während andere im Freibad waren. Alles, was ich heute kann, habe ich mir zu 95 % selbst beigebracht. Wenn ich etwas Neues lernen darf, bin ich an Bord. Übrigens, ein klassischer ADHS-Zug, weil Neues macht uns richtig an. Ballert Dopamin, als wäre es Crack.

Dies ist mir schon lange bewusst und tatsächlich nutze ich das. Indem ich mir bei langweiligen Aufgaben einen Aspekt herauspicke, den ich neu, anders machen kann. Um etwas zu lernen. Hier fliegt mein Leben als Kreativer eine Schleife, weil so habe ich eben immer weiter gelernt, alte Zöpfe gegen neue Haarpracht getauscht. Und stehe fachlich und wissentlich deswegen heute da, wo ich stehe. Liebe das.

„Exzellenz“ als Motivator

Kürzlich durfte ich die Website der Bielefelder Personalberatung Holger Lüking & Partner relaunchen. Ein Job, den ich so, so sehr wollte. Weil mich die Lust des Auftraggebers nach purer Exzellenz förmlich angesteckt hatte. Vieles von dem, was für andere Kunden wichtig ist, wurde hier als Teil des Auftrags schlicht vorausgesetzt. Aber die Notwendigkeit von Exzellenz wurde mehrfach betont.

Nicht, dass es auch an mir ist, Dinge „gut zu machen“. Nur waren „Lernen“ und „Handwerkerfreude“ und vor allem „Dringlichkeit“ immer die stärkeren Antriebe. Oft war „gut genug“ eben „gut genug“. Aber das Pareto-Prinzip von 80 % bringt uns eben nur so weit. Ich hatte verstanden: Es existiert eine fette, dicke Linie zwischen „gut genug“ und der eingeforderten „Exzellenz“. Den Gedanken mag ich. Und er geht ja auch Hand in Hand mit dem dritten Prinzip aus Cal Newports „Slow Productivity“: Obsess over quality.

Was macht dich so richtig an?

Disclaimer: Dieser Blogpost ist weniger ein Essay als viel mehr das Ergebnis eines Braindumps einer Morgenseiten-Session. Ich möchte dir damit einige Impulse liefern, darüber nachzudenken, was dich wirklich motivieren könnte, dein bestes Selbst zu sein. Oft motivieren uns einfach Dinge, die wir gelernt haben. Aus unserem System aus Familie und Peers heraus. So auf Autopilot.

Aber sind das die Dinge, die uns so wirklich anmachen?

Nicht nur für Personen mit ADHS ist „Dringlichkeit“ pures Gift. Auch neurotypische Menschen folgen oft Routinen oder Ritualen, die nicht gesund für sie sind. „Stress“ ist kein neurodiverses Symptom sondern eine Krankheit unserer Gesellschaft. Kontrollzwänge, Social Credit, Funktionsmodus sind kein Kindergeburtstag.

Also als Mensch auf uns selbst zurückzufallen und uns zu überlegen, wie wir unser Leben lustvoll in Bewegung bringen, also motivieren können, das könnte doch auch ein guter Prompt für deine nächsten Morgenseiten oder Meditation oder Gedankenkarussell beim ersten Kaffee sein.

Ein kleiner Impuls, von dem ich hoffe, dass er dich motivieren kann, mal darüber nachzudenken.

Danke für deine wertvolle Zeit.

Schreib mir gerne dazu an markus@freise.de.

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