Wie motivieren? „On fire“ für Normalos und ADHS-Dopamin-Junkies.
31.08.2024
Dieser Artikel ist entstanden, nachdem ich mit meiner lieben Freundin Franzi über Slow Productivity gesprochen habe. Ihr erzählte von „Do fewer things“ und dass dieses Prinzip, sich weniger aufzuhalsen, vielleicht mein System beruhigen könnte. Damit ich aus der Lähmung treten kann, die aus der Überforderung durch viel zu viele Aufgaben resultiert.
Nun ist Franzi Radio-Moderatorin und nicht Dentistin und doch zog sie mir diesen Zahn. Indem sie folgendes sagte – sinngemäß. (Also: Ich verstand das so oder habe es so abgespeichert. Whatever.)
Aber wenn du weniger Dinge an dich nimmst, lieber Markus, dann fehlt dir doch irgendwie die Dringlichkeit, Dinge zu erledigen. Von der du eben erzähltest.
Franziska Schütz
„Dringlichkeit“ kann mich mal
Da war ich erst einmal baff. Hatte sie da etwas sehr Richtiges gesagt? Denn was sie mit „was du eben erzähltest“ meinte war: Für mich als Person mit ADHS ist „Dringlichkeit“ ein primärer Motivator. „Wichtigkeit“ spielt keine Rolle. Alles ist gleich wichtig und gleich unwichtig. (Keine Sorge, der Kern dieses Beitrags kann dich auch als neurotypische Person inspirieren.)
Anders gesagt: Es fällt mir schwer, wichtige von unwichtigen Dingen zu unterscheiden. Die Wichtigkeit ergibt sich ausschließlich aus der Dringlichkeit. Deadlines, Steuertermine, Verabredungen. Oft (Meistens) erledige ich Dinge auf dem allerletzten Meter. Dann zwar gut und richtig, aber doch so knapp, dass nichts schiefgehen darf. Das funktioniert – in der Regel. Aber es ist eben auch purer und neurotypisch gedacht, doch vermeidbarer Stress.
Es ist, als würde man statt einen Marathon locker weg zu joggen, einfach sagen:
Die ersten 37 km oder so flaniere ich vor mich hin. Ich spurte dann einfach volle Pulle fünf Kilometer ins Ziel. Hauptsache ins Ziel.
Mein ADHS-Brain
Kann man sich ausdenken, was nachhaltiger ist.
Als ich über Franzis Satz heute Morgen ins Journal schrieb, fragte ich mich, ob ich diese „Dringlichkeit“ eventuell durch einen anderen Motivator ersetzen kann? Denn natürlich gibt es auch andere Dinge, die mir Lust darauf machen, etwas anzugehen.
So machte ich eine Liste von Aspekten innerhalb von Aufgaben, die mich ebenfalls oder zusätzlich motivieren. Einmal als Introspektive und als Checkliste für die Zukunft. Mir fielen die folgenden ein.
Braindump einiger Motivatoren
„Social Credit“ als Motivator
„Dinge tun, damit man besser da steht.“ So könnte man dies zusammenfassen. Grundsätzlich ist das nicht verwerflich, gemocht zu werden. Aber als Person, die in einem heavy narzisstischem Umfeld aufgewachsen ist, habe ich für diesen Antrieb mehr Antennen als Abhörspezialisten der Stasi sie haben. Also hat mich das körperlich geschmerzt, das hinzuschreiben. Auch, weil ich durch Vorleben gelernt hatte, narzisstisch zu denken und zu handeln in jungen Jahren. Obwohl ich das nie war oder bin. Im Nachhinein ist damit viel Reue und Scham verbunden. Schlimme Gefühle, die man nicht fühlen möchte. Dies fällt für mich also raus. (Falls ihr mich trotzdem mögt für das, was ich tue: nur Liebe für Dich.)
„Geld“ als Motivator
Als kreativer Dienstleister und Kreativunternehmer ist das intrinsisch. Wir sind wirtschaftlich von unserer Kreativität abhängig. Demnach ist „Geld“ und „Geld verdienen“ so ein Motivator, über den man gar nicht viel nachdenkt. Auf der anderen Seite ist es für mich ein eher schwacher Motivator. Alles, was ich tue, mache ich aus der puren Lust am Kreativ sein, Handwerk und Lernen. „Geld“ war da von Beginn an ein Nebenprodukt.
Dennoch führe ich es hier auf. Denn – ebenso wie das „Lernen“ (siehe unten), kann man es natürlich auch wie ein Tool nutzen. Wie eine Möhre, die man vor sich her trägt. Denn Geld ist Energie. Und wenn wir Energie erzeugen können, ist das eine gute Sache.
„Handwerkerfreude“ als Motivator
Ich hatte Franzi auch getroffen, um ihr ein Geschenk zu überreichen. Zu dem Geschenk hatte ich eine Karte gemacht. Und für die Karte einen Umschlag. Ich hätte einfach einen Umschlag aus dem Drogerie-Müller-Regal nehmen können. Stattdessen aber hatte ich einfach Bock, puren Bock, etwas zu basteln.
Also nahm ich eine Papiertüte von einem Markt aus Covent Garden, schnitt sie zurecht, klebte sie wieder zusammen und fertig war ein Unikat. Es war nicht perfekt (siehe unten), ich glaube, Franzi hat das nicht bemerkt (siehe oben), aber mir hatte es Freude gemacht. Wenn es nun in der Müllverbrennungsanlage in Bielefeld Heepen landet: „So what!?“ Die Tüte hatte ihren Zweck erfüllt. Ihre Notwendigkeit zu existieren hatte mich motiviert, handwerklich und damit kreativ tätig zu werden.
„Lernen“ als Motivator
Dies ist, neben der Dringlichkeit, mein zweitstärkster Motivator. Stunde um Stunde habe ich als Jugendlicher in der Bücherei in Gütersloh abgehangen, während andere im Freibad waren. Alles, was ich heute kann, habe ich mir zu 95 % selbst beigebracht. Wenn ich etwas Neues lernen darf, bin ich an Bord. Übrigens, ein klassischer ADHS-Zug, weil Neues macht uns richtig an. Ballert Dopamin, als wäre es Crack.
Dies ist mir schon lange bewusst und tatsächlich nutze ich das. Indem ich mir bei langweiligen Aufgaben einen Aspekt herauspicke, den ich neu, anders machen kann. Um etwas zu lernen. Hier fliegt mein Leben als Kreativer eine Schleife, weil so habe ich eben immer weiter gelernt, alte Zöpfe gegen neue Haarpracht getauscht. Und stehe fachlich und wissentlich deswegen heute da, wo ich stehe. Liebe das.
„Exzellenz“ als Motivator
Kürzlich durfte ich die Website der Bielefelder Personalberatung Holger Lüking & Partner relaunchen. Ein Job, den ich so, so sehr wollte. Weil mich die Lust des Auftraggebers nach purer Exzellenz förmlich angesteckt hatte. Vieles von dem, was für andere Kunden wichtig ist, wurde hier als Teil des Auftrags schlicht vorausgesetzt. Aber die Notwendigkeit von Exzellenz wurde mehrfach betont.
Nicht, dass es auch an mir ist, Dinge „gut zu machen“. Nur waren „Lernen“ und „Handwerkerfreude“ und vor allem „Dringlichkeit“ immer die stärkeren Antriebe. Oft war „gut genug“ eben „gut genug“. Aber das Pareto-Prinzip von 80 % bringt uns eben nur so weit. Ich hatte verstanden: Es existiert eine fette, dicke Linie zwischen „gut genug“ und der eingeforderten „Exzellenz“. Den Gedanken mag ich. Und er geht ja auch Hand in Hand mit dem dritten Prinzip aus Cal Newports „Slow Productivity“: Obsess over quality.
Was macht dich so richtig an?
Dieser Blogpost ist weniger ein Essay als viel mehr das Ergebnis eines Braindumps einer Morgenseiten-Session. Ich möchte dir damit einige Impulse liefern, darüber nachzudenken, was dich wirklich motivieren könnte, dein bestes Selbst zu sein. Oft motivieren uns einfach Dinge, die wir gelernt haben. Aus unserem System aus Familie und Peers heraus. So auf Autopilot.
Aber sind das die Dinge, die uns so wirklich anmachen?
„Dringlichkeit“ ist für mich eigentliches pures Gift und leider eine Schattenseite des ADHS-Gehirns. Doch auch neurotypische Menschen, sofern es so welche überhaupt gibt, folgen oft Routinen oder Ritualen, die nicht gesund für sie sind. Kontrollzwänge, Social Credit, Funktionsmodus sind so Dinge, die mir in den Sinn kommen.
Auf dich selbst zurückzufallen und sich zu überlegen, wie wir unser Leben in Bewegung bringen, also motivieren können, das könnte doch auch ein guter Prompt für deine nächsten Morgenseiten sein. Oder einfach eben ein Impuls. Ich freue mich, wenn ich dich motivieren konnte, über deine Motivation nachzudenken.
Schreib mir gerne dazu an markus@freise.de.