Drei Gedanken am Dienstag: Normal, Ordnung, Atomkrieg

03.06.2025

Don’t grow up. It’s a trap.

Am 19. Mai bin ich 54 Jahre alt geworden. Zumindest haben der Kalender und ein wenig Mathematik das festgestellt. Wie üblich fragte mich jemand deutlich jüngeres „Und? Wie fühlt es sich an, 54 zu sein?“. Die Sache ist die, dass ich mein mathematisches Alter nie wirklich gefühlt habe. Vielleicht bin ich wirklich in meinen 20er, als ich dieses fantastische Buch zuerst gelesen habe, an dieser Zeile aus „Peter Pan“ kleben geblieben:

Werd' nicht erwachsen. Es ist eine Falle

Was für ein großartiges Tattoo das wäre, oder? Ganz sicher ein schönes Poster in der Küche. Das da hängt. Während du dein Leben eben lebst wie eine Dampflok. In den 30er auf die Schienen gesetzt, wie alle anderen. Voll Karacho in Richtung deines Ablebens donnernd. Oder, wie Douglas Coupland, Erfinder des Konzeptes „Generation X“ es in einem seiner Bücher sinngemäß schrieb:

Wir sterben mit 35 und werden mit 70 begraben.

Dann sagen wir halt Sätze wie „Früher war alles besser.“ und hängen dabei auf unseren Schienen dahin ratternd, eingeklemmt zwischen Routinen und Wissen und Weltsichten, die längst überholt wurden. Und so verlieren wir Kontakt mit der Welt um uns herum, die scheinbar an uns vorbeirast. Auf neuen Strecken. Ich habe mal gelesen, dass jede Generation ihre Welt, so wie sie diese vorfindet, als „Normal“ betrachtet. Was also bedeuten muss, dass eigentlich jederzeit alles normal ist.

Wie schafft man es also, die notwendigen Weichen in das neue Normal nicht zu verpassen? Wie fühlt man sich eben nicht abgehängt, wie „54“ oder irgendeine andere Nummer? Wie lebt man in der Welt, so wie sie ist und nicht wie sie mal war? Zu jedem Zeitpunkt?

Für mich war das immer kinderleicht. Lasst mich erklären. Soviel Peter Pan mute ich euch zu.

Einer meiner sechs Kernwerte ist „Neugier“. Ich betrachte jeden Tag als Neuanfang. Wie ein Reset oder eine neue Startlinie, von der aus ich von nun an lebe. Dies ist für mich die Essenz des Satzes von Peter Pan: Es geht nicht darum, ein verantwortungsloses Blag wie Peter zu bleiben – so ein Verhalten wird in der Psychologie „Peter-Pan-Syndrom“ genannt – sondern darum, das neugierige Kind in mir lebendig zu halten. Dies Kind, das seine Welt einst so vorgefunden hatte, wie sie war.

Mit dem Unterschied zu den Dampfloks, dies jeden Tag zu wiederholen. Im Einklang mit den Erfahrungen, die ich auf dem Weg ins Heute gemacht habe.

Die Stoiker sagen das so:

Stell dir nicht vor, was du tun würdest, wenn du noch einmal jung wärst. Denn du bist heute Nacht gestorben. Am Morgen wirst du neu geboren. So lebe dann nach diesem Aufwachen den Rest deines Lebens.

Sterbe heute Nacht. Flieg ins Nimmerland. Und werde morgen in deine neue Welt hineingeboren.

◼️

It’s time. 2014. Pencil and digital colour

Die neue Ordnung, die dein Leben regiert.

Daniel Catt schrieb kürzlich auf Substack:

One lesson I’ve learned from my daily studio practice is the importance of a tidy workspace, so much so that I have a “shutdown routine” at the end of each day to put things away. But even then, things start to build up, so today is about cleaning up the studio for a new fresh start. … (Was ich durch meine tägliche Arbeit im Atelier gelernt habe, ist, wie wichtig ein aufgeräumter Arbeitsplatz ist. Ich habe das so sehr verinnerlicht, dass ich mittlerweile am Ende des Arbeitstages eine „Shutdown“-Routine habe. In der ich alles wieder an Ort und Stelle bringe. Und doch kommen Dinge immer wieder durcheinander. Also ist meine heutige Aufgabe, das Atelier in Ordnung zu bringen. Für einen Neustart.)

Das entspricht exakt einer Sache, die ich erst spät in meinem Leben lernen durfte.

Ich bin mit dem Glaubenssatz aufgewachsen: „Es ist in Ordnung, dass du chaotisch bist. Künstler sind chaotisch.“ Also habe ich auf Ordnung und Aufräumen geschissen. Wie sich dann herausstellte, wussten die Menschen, die mir das eingebläut haben, einen Dreck über Kunst und waren selbst kreativ wie ein Klotz.

Irgendwann aber – dem steten Drängen „lass mal aufräumen“ meiner lieben Frau sei Dank – begriff ich, dass es für mein Crazy Shit Brain so viel einfacher ist zu funktionieren, wenn um mich herum Ordnung herrscht. So machte ich „Ordnung“ zu einem weiteren meiner sechs Kernwerte.

Nicht umsonst sagen wir im Deutschen „Es ist in Ordnung“. Wenn ich mich also „nicht gut“ bis „hundsmiserabel“ fühle, unruhig werde oder meine Arbeit nicht mehr auf die Reihe bekomme, weiß ich: Etwas ist „nicht in Ordnung“. 

Und weil dieser Artikel ursprünglich auf Englisch entstand, kam ich auch auf den Gedanken, dass die englische wortwörtliche Übersetzung für „Nicht in Ordnung“ ja „Out of order“ ist. Was eigentlich bedeutet: „Das Ding hier? Das funktioniert nicht.“ Wenn also das Leben „nicht in Ordnung“ ist, dann ist es kein Wunder, dass es nicht mehr funktioniert.

Wenn dies geschieht, ist die Lösung denkbar einfach:

Mach einen Schritt zurück. Schaue auf das Ganze – „The big picture“. Betrachte den Stapel an Leben, der sich aufgetürmt hat. Dann fange an, Ding für Ding aufzuheben. Betrachte es. Lege alles dorthin zurück, wo es hingehört. Bis alles wieder an Ort und Stelle ist – „in Ordnung“.

Und dann: Viel Freude am Kreativ sein.

◼️

Führe keinen Atomkrieg mit dir. Das ist nicht gut.

Letztes, nach einer Sitzung bei meinem Life-Coach Andreas im IBZ in Bielefeld, sinnierte ich darüber, was das eigentlich bedeutet „zufrieden sein“.
Wie man sich so einem Gedanken nähert, hatte ich vor einigen Jahren in meiner Therapie gelernt. Mein Therapeut hat diese Eigenart, hinter die Worte zu kommen, indem er sie zerlegt. 

Also machen wir das hier mal:

„Zu“ ist eine Bewegung zu etwas hin. „Zu-frieden“ ist eine Bewegung Richtung „Frieden“. Das ganz menschliche Bedürfnis, nach Frieden und in Frieden zu leben.

Wenn sich dein Leben nicht so anfühlt, muss etwas Gegenteiliges vorherrschen. Das Gegenteil von Frieden ist Konflikt oder noch deutlicher: Krieg.

Wenn du also „un-zufrieden“ bist, dann führen Aspekt deines Lebens Krieg. Und wer jemals die Freude hatte, einen guten Therapeuten zu haben, wird bald gelernt haben:

Der Schlüssel zu jeder Lösung jeglicher Herausforder im Leben ist man immer ausschließlich selbst. „Selbstwirksamkeit“ nennt man das. 

So kommen wir nicht umhin, uns einer brutalen Wahrheit zu stellen:

„Unzufrieden“ zu sein ist ein Konflikt in dir und ein Krieg mit dir selbst.

Es gibt mindestens zwei Wege, einen Krieg zu beenden:

  • Eine Partei wird geschlagen und kapituliert. Der Weg dorthin geht über Zerstörung, Leid und die Auslöschung des Verlierers. Auf das Leben bezogen bedeutet dies: Wenn es richtig mies läuft, führt es einen in die Selbstverletzung. Wenn man an diesen Punkt gelangt, ist es so, als wolltest du deinen Krieg beenden, indem du einfach den großen roten Knopf drückst und dich selbst mit Atomkrieg überziehst.
  • Alternativ aber können sich beide Parteien zu Verhandlungen treffen und darüber sprechen, an welchem Punkt der Konflikt steht, wie man dorthin gekommen ist und welche Forderungen eigentlich die jeweiligen Seiten haben. Man kann einen gemeinsamen Nenner finden und sich auf Kompromisse einigen, mit denen alle gut und gerne leben können. Klar, keiner bekommt alles das, was man wollte. Aber andersherum muss auch niemand mehr unnötig leiden.

Das Letztere, die Verhandlung, ist eine Strategie, die wir von unseren sensationellen Paar-Therapeut:innen gelerneht haben: Wenn es in der Beziehung knirscht, dann gilt es meist, Dinge, die „immer so waren“ selbstverständlich scheinen, neu zu verhandeln.

Und was anderes ist dein Leben, als eine Beziehung mit dir selbst?

Wenn du also das nächste Mal „un-zufrieden“ bist, denke darüber nach, welche Anteile in dir Krieg führen. Welche Bedürfnisse du in dem Moment hast, die im Gegensatz stehen. Ziehe nicht in die Schlacht. Erkenne vielmehr, dass deine Konflikte daher rühren, dass nicht alles, was du dir wünscht, jederzeit bedingungslos „be-friedigt“ werden kann.

Wenn du an diesen Punkt kommst, setze dich in deinen inneren Konferenzraum, serviere Tee und Kekse und handele dein Leben neu mit dir aus.

Warte nicht mehr darauf, dass du befriedigt wirst.

Sei selbstwirksam. Mache Frieden in dir.

◼️

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