So schaffe ich das: Wie ich meine Herzensprojekte angehe.
18.06.2024
Nennt es Side-Projects, Pet-Projects oder schlicht: Herzensprojekte. Jede und jeder von uns hat mindestens eines dieser Themen. Etwas, das neben dem eigentlichen Beruf und dem Leben drumherum, ununterbrochen an der Tür kratzt und angegangen werden will. Es sind vor allem Unterfangen, die oft unserem eigentlichen „Ich“ entsprechen und von denen wir wissen, dass sie für unsere Seele wertvoll sind.
Wie mutig kannst du sein?
Ich rede nicht von Hobbys! Herzensprojekte gehen weit darüber hinaus. Sie sind kein „Ausgleich“, wie ein Hobby. Sie sind ein bislang ungehörter Teil von uns. Deshalb mag ich auch den Begriff „Herzensprojekt“ am ehesten dafür. In einer Ecke unseres „Ichs“ wissen wir, hätten wir den Mut, die Kapazität oder das Framework diese Dinge von ganzem Herzen (Pun intended) anzugehen: Unser Leben würde sich schlagartig zu unseren Gunsten transformieren.
Wie komme ich dazu, darüber zu schreiben? Im Sommer 2024 erreichte mich, als Antwort auf einen Newsletter, diese kurze Nachricht eines alten Freundes. Mit solchen Aussagen einhergehend, schließt sich häufig eine Frage an.
Wie schaffst du das alles, Markus?
Das ist vermutlich die Frage, die mir im Kontext meines Tuns als Kreativunternehmer am häufigsten gestellt wird: „Wie schaffst du das alles, Markus?“ Mit „Alles“ meinen diese Menschen meine Arbeit in der Agentur, meinen Podcast, die Kunst, Comics und früher auch mal das Schreiben und den Poetry Slam. Das alles geklammert in meiner Personal Brand als Kreativunternehmer und einem auch ansonsten kunterbunten Leben und grauem Alltag.
Ich habe mir mal die Arbeit gemacht, über eine konkrete Antwort nachzudenken.
Hier ist sie, liebe Menschen:
So schaffe ich das alles, [NAME]
zuallererst habe ich einen großen Vorteil gegenüber Dir:
My crazy shit brain
Ich habe ein ADHS-Gehirn. Das nimmt mir jegliche Zurückhaltung, wenn es darum geht, neue Aufgaben anzunehmen oder eine fixe Idee aufzugreifen und weiterzuspinnen. Auch kann ich nicht aufhören zu „schaffen“, wenn ich mich in irgendetwas so richtig festgebissen habe. Hyperfokus ist ein wildes Dinge und was das Mentale angeht vielleicht mit dem Gebiss eines wirklich räudigen Köters zu vergleichen.
Einmal in diesem Modus vergesse ich alles um mich herum. Trinken, Essen, Schlafen, Freunde anrufen. Das schafft viel … Zeit. Glaube mir. Ich würde gerne schreiben „Spaß beiseite.“ Aber das ist leider kein Spaß. So funktioniert mein Gehirn seit jeher. Ich habe längst aufgehört, mich dafür fertig zu machen und schaue eher darauf, was es mir Gutes bringt. Die negativen Aspekte sind ein Preis, den ich zahle.
„Bock-Level 1000“
Den Ausdruck habe ich mal irgendwo bei Casper aufgeschnappt. Auf die meisten Dinge habe ich wirklich einfach so intrinsich richtig „Bock“. Ich erzähle dann gerne, wie ich mal einen Job nicht ablehnen konnte (siehe Motivation „Geld“). Einige Abend habe ich mir Finger und Hirn blutig malocht. Wenig geschlafen, die Pizzeria um die Ecke leer gegessen und viel zu viel Kaffee getrunken. Am Ende war alles gut und richtig und abgerechnet. Und ich saß in unserer Küche, vor Erschöpfung weinend (wirklich) und zu Steffi sagend:
Aber wäre es nicht schlimm, wenn es nicht so einen Spaß machen würde?
Ich
Oder wie es auf all den Kalendern in der Ramsch-Abteilung von Karstadt und Co. steht:
Mach deine Leidenschaft zum Beruf und du musst nie wieder arbeiten.
Someone
„Netnix“ und „Amazon Nein“
Wenn du einen ganz pragmatischen Tipp benötigst, für den du keine neurountypische Gehirnstruktur benötigst, sondern nur ein wenig Willenskraft:
Ich schaue im Prinzip kein Netflix und Co. … Lineares 1980er-Fernsehen haben wir seit Monaten nicht mehr. Den Tipp, dass hinter dem Bildschirm ein Paradies aus Zeit wartet, habe ich aus dem Buch „Barfuß in Manhattan“. In diesem berichtet Colin Beavan wie er und seine Familie für ein Jahr so in ihrer Heimatstadt New York leben, dass sie einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Auf die Frage, woher sie die Zeit nehmen, nicht mehr essen gehen zu können und stattdessen kochen müssen (was in New York scheinbar auf der gleichen Skurril-Stufe steht, wie nackt über den Times Square zu tanzen) erwidert er:
Oh. Um Strom einzusparen haben wir unseren Fernseher verbannt. Das gibt uns jeden Abend mehrere Stunden, in denen wir gemütlich kochen können.
Paraphrasiert von Colin Beavan
Anders gesagt: Zwei Stunden weniger Screen-Time am Tag bringt dir zwei komplette 9-5 Arbeitsphase.n Um Comics zeichnen, Podcast machen, Blog-Posts schreiben.
You get the point!?
Wo ist das Vögelchen?
Wenn dann die dadurch gewonnene Zeit doch nicht ausreicht – also: immer – um die zu vielen Aufgaben und Ideen in meinem „Crazy Shit Brain“ zu bewältigen, schalte ich um auf „Vögelchen für Vögelchen“. Das Konzept habe ich aus dem sehr lesenswerten Buch über das Leben und Kreativität „Bird by Bird“ von Anne Lemot. Darin erzählt sie diese Geschichte:
...thirty years ago my older brother, who was ten years old at the time, was trying to get a report on birds written that he’d had three months to write, which was due the next day. We were out at our family cabin in Bolinas, and he was at the kitchen table close to tears, surrounded by binder paper and pencils and unopened books on birds, immobilized by the hugeness of the task ahead. Then my father sat down beside him, put his arm around my brother’s shoulder, and said, “Bird by bird, buddy. Just take it bird by bird.”
...vor dreißig Jahren versuchte mein älterer Bruder, der damals zehn Jahre alt war, einen Bericht über Vögel zu schreiben, für den er drei Monate Zeit gehabt hatte und der am nächsten Tag fällig war. Wir waren in unserer Familienhütte in Bolinas, und er saß am Küchentisch, den Tränen nahe, umgeben von Schnellheftern, Bleistiften und ungeöffneten Büchern über Vögel, wie gelähmt von der Größe der Aufgabe, die vor ihm lag. Dann setzte sich mein Vater neben ihn, legte seinen Arm um die Schulter meines Bruders und sagte: „Vogel für Vogel, Kumpel. Nimm es einfach Vogel für Vogel.“
Anne Lemot
Das in Kombination mit dem stoischen Grundsatz „Solange du die Nerven nicht verlierst, kann dir nichts geschehen.“ funktioniert wunderbar. Ein Ding nach dem anderen Ding angehen. Sonst hätte Anne es vermutlich auch nicht aufgeschrieben.
The price I (gladly) pay
Dies sind nur einige Gedanken, die mir dazu in den Sinn kommen. Und um die Elefantenherede im Raum anzusprechen: natürlich kommt das mit einem Preis. Alles kommt immer mit einem Preis. Meiner ist ein eingeschränktes Social Life. Hier stellt sich jedoch auch die „Henne und Ei“-Frage. Habe ich ein eingeschränktes Social Life, da ich aufgrund meiner Neurodiversität einen zwar kleinen, aber dafür engen Kreis pflege und dadurch eben dort weniger Verflechtungen habe?
Oder habe ich diesen kleinen Kreis, weil mir die Zeit fehlt, für … mehr Menschen. Sicherlich ein Thema für einen eigenen Blog-Post. Aber nicht heute. Und nicht hier. Nur so viel: Dies ist ein Preis, den ich bereit bin zu zahlen. Im Finanziellen nennt man so etwas „Happy Money“: Geld, dass man zwar ausgibt und dass dann fort ist. Aber dafür bekommt man auch etwas, dass einen „happy“ macht.
Lieber [NAME], ich hoffe, dies beantwortet deine Frage. Und wenn nicht, stelle mir gerne noch viele, viele weitere. Per E-Mail an markus@freise.de oder bei einem Bier auf der Schanze. Ich komme dich dort gerne mal wieder besuchen.
Bis dahin,
Dein Markus