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Wenn Meditation nichts für dich ist: Der Astrid Lindgren-Modus

27.06.2022

Wir leben in einer verrückt gewordenen Welt, in der wir an einem einzigen Tag so vielen Eindrücken und so viel Stress ausgesetzt sind, wie dass ein Mensch im Mittelalter in seinem gesamten Leben war. Und oft genug fällt es uns schwer oder ist es uns unmöglich, diese Situation für uns zu befrieden. Ein für diese Lösung immer wieder ins Spiel gebrachtes Werkzeug ist die Meditation.

Aber, ich höre es schon murmeln:

„Meditation? Das ist nichts für mich.“

Irgendjemand

Dies Zitat ist eine nicht seltene Reaktion, wenn ich mit Menschen über Meditation als Technik der Komtemplation und mentaler Stille ins Gespräch komme. Einige lehnen es direkt ab. Andere haben es vielleicht schon ausprobiert. In entsprechenden Kursen, mit Videos oder über Apps wie Headspace. Alle meine Gesprächspartner:innen sagen aber eben:

„Nein. Meditieren war nichts für mich!“

Wenn also auch du zu denjenigen gehörst, für die Meditation „nicht funktioniert“, du aber trotzdem irgendwie das Gefühl hast, die Welt wird dir ständig zu viel: Da habe ich noch eine ganz einfache Alternative im mentalen Werkzeugkasten. So simpel, dass man Schreien möchte. (Was übrigens auch helfen kann, also: Schreien.)

Falls Du an meinem Erfahrungen zu Meditation interessiert bist, empfehle ich Dir den Artikel „Warum ich nach über 500 Tagen Meditation einfach aufhörte. Von Meditationskrisen und Maultieren.

Weil, eines habe ich nach vielen Jahren Meditation gelernt: In dieser besagt bekloppt gewordenen Welt, sind bewusste Momente der Stille lebensnotwendig. Damit meine ich nicht die auditive Stille ohne Geräusche. Sondern kurze Auszeiten, in denen wir unseren Sinnen, unserem Denken und unserem gesamten System Räume anbieten, in denen diese – und damit wir – einfach sein dürfen.

In einem überfüllten Raum kann niemand tanzen.

Nur so können neue Gedanken entstehen und Probleme gelöst werden.

Und nur so kann Kreativität überhaupt entstehen. Diese neue Verdrahtung von Erfahrungen, Eindrücken und Wissen. Das kreative Kombinieren kann das Gehirn nur dann tun, wenn es nicht parallel mit anderen Dingen überladen wird: Ob das jetzt ein (meinetwegen wirklich) total wichtiger Job ist oder die siebte Staffel der Lieblingsserie, spät abends um 11 Uhr. Das spielt keine Rolle. Voll ist voll.

Um zu der Raum-Metapher zurückzukehren: In einem überfüllten Raum kann niemand tanzen.

Was ist denn Meditation eigentlich?

Was aber eigentlich ist Meditation und weshalb empfinden das einige als anstrengend oder sagen, dass Meditation für sie nicht funktioniert?

Bei der Meditation geht es – so steckt es im Namen – um die Zentrierung. Sehr vereinfacht um die Fokussierung des Minds durch eine kognitiv möglichst anspruchslose Tätigkeit. Auf etwas, das gänzlich andere Hirnregionen herausfordert, als unser rationales Denken dies tut. Dass dies genau so funktioniert und direkten Einfluss auf die Hirntätigkeit und gar die Entwicklung des Gehirns hat, ist in zahllosen Studien wissenschaftlich belegt.

Die bekannteste Form der Meditation lässt sich herunterbrechen auf die Achtsamkeitsmeditation. Man sitzt in Stille und folgt seinem Atem – sehr vereinfacht ausgedrückt. Dies ist die Art zu meditieren, die ich praktiziere.

Im Yoga hingegen werden während der Meditationen meist Mantras gechanted. Und Bewegungsabläufe vollführt, die deine Aufmerksamkeit so sehr fordern, dass du gar keine Chance hast, an deine narzisstische Mutter, die vielen Probleme, Projekte oder Aufgaben zu denken. Davon abgesehen, dass alleine die Koordination Dein System auf ganz neue Arten herausfordert und trainiert.

Nach meiner Erfahrung geht es bei allen Meditations-Techniken vor allem darum, das rationale Denken auszuschalten und Teile des Körpers zu trainieren, die sonst brach liegen. Den Tanzsaal des Denkens leer zu räumen. Damit später die Gedanken dort wieder, neu sortiert, ungehindert swingen, walzen und foxtrotten können. Was sie so lange nicht getan haben.

Der Ärger des „Nicht-Denkens“

Was jedoch auch klar ist: Diese „Räumung“ verursacht Ärger. Man kann nicht an nichts denken. Das ist in tausend Studien und mit „Denke nicht an einen rosa Elefanten“ bestätigt. Gedanken kommen zu Dir – so oder so. Selbst im Schlaf denken wir träumend. Sie klammern sich an alles, was sie finden können. Kleben sich mit ekeligen Konstrukten an deine Hirnrinde. Protestieren und lamentieren. Das ist sehr gut, das sollen sie ja auch. Denn ohne Denken kein Vorankommen.

Worum es bei der Meditation aber geht und weshalb wir uns, ganz gleich in welcher Technik, auf irgendetwas nicht wirklich kognitives fokussieren ist, dass wir die Gedanken für einige Zeit einfach nicht beachten. Sie dürfen kommen. Sie können sogar wüten. Toben. Wie ein durchgedrehter Dreijähriger. Aber sie dürfen auch einfach so wieder gehen. Sie beanspruchen Dich nicht.

Wenn Dir Meditation dennoch zu kompliziert ist, das Abo der App zu kostspielig. Oder dieses ganze „Voodoo-Voodoo“ zu suspekt, dann mach es für den Anfang so, wie es die wundervolle schwedische Kinderbuchautorin und weise Frau Astrid Lindgren getan hat.

Die Lösung: Der Astrid Lindgren-Modus

Niemand wird Astrid absprechen, dass sie vor allem als junge Frau ein kompliziertes, anspruchsvolles Leben hatte. (Schön eingefangen in dem Biopic „Astrid“) Und noch weniger, dass sie dennoch später vor Kreativität übergelaufen ist. Sie hat einige der wichtigsten Kinderbücher des 20. Jahrhunderts geschrieben. Von Pippi Langstrumpf über Michel (Emil) bis Karlsson vom Dach oder Ronja Räubertochter.

Was also hat Astrid Lindgren anders gemacht, als wir das in unserem Alltag tun? Nun, etwas sehr simples, das sie mit eigenen Worten in einem ihrer berühmtesten Zitate beschrieb:

Und dann muss da auch noch Zeit sein, da zu sitzen und vor sich hinzuschauen.

Astrid Lindgren

Probier das einfach mal: Stell den Küchenstuhl an das Fenster. Setz dich drauf. Und dann schaue einfach mal für eine Viertelstunde vor dich hin. Tue nichts anderes. Einfach so schauen.

Wenn deine Gedanken anfangen Pogo zu tanzen oder auf Sachensuche gehen, dann ist das so.

Lass sie und Dich ruhig herausfinden, dass 2 mal 3 vielleicht doch Neune ist!? Denn wenn wir diese ausgedehnten Phasen der Nichtbeachtung unserer Gedanken zulassen, spüren wir eigentlich erst, wie viele buchstäbliche Einfälle wir haben. Was für unsinniger Nonsens dabei ist. Ja, lach ruhig drüber. Aber auch welche großartigen Ideen uns zufliegen. Und staune über Dich selbst. Du bist nämlich doch kreativ.

Alle Gedanken, die wir dann bewusst ziehen lassen. Weil, Denken ist wie Atmen. Automatisch. Es hört nicht auf, ganz gleich, wie sehr wir uns bemühen. Siehe auch die Geschichte von Tom Waits in meinem Blog-Post „Dieses kreative Paradoxon: Wenn man vor lauter Ideen nicht weiter weiß.“.

Wenn wir in die Stille gehen spüren wir, was für ein Paradies unser Denken ist. Ein wunderbarer, bunter und lebendiger Ort, den wir jedoch mittlerweile 24/7 durch ein Bombardement von Außen ständig in Trümmer legen. Wie schade.

Setzen wir uns doch lieber mal hin, schauen vor uns her und genießen die Stille, die dann kommt.

...

Viel Spaß.

Pippi Langstrumpf Astrid Lindgren Zeichnung

Du hast soeben meditiert.

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