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Mit Mikrourlauben den Gott der Kackscheiße besiegen

31.05.2022

Ich habe was erfunden!

Okay. Doch nicht. Erfunden habe ich es im Prinzip nicht. Aber ich habe es perfektioniert. So wie Apple ja auch nicht das Smartphone erfunden hat oder die Maus oder den Computer. Die haben das ja auch “nur” weitergedacht. Aus dieser kurzen Argumentationskette heraus bin ich aber jetzt der Steve Jobs der Pause. Deshalb sage ich im Erbe des Jobs-Satzes “We reinvented the phone.”:

Ich habe die Pause neu erfunden. Ich nenne es “Mikrourlaub”.

Die Voraussetzungen

Es gibt diesen alten Satz, der besagt, dass wer selbständig arbeitet, arbeitet eben selbst und zwar ständig. Meistens sagen die Menschen dies mit einem äußerst gequälten Gesichtsausdruck. Als wäre das was schlimmes. Vielleicht macht ihnen ihre ständige Arbeit keinen Spaß. Nun habe ich, vor allem seit dem ich Freiberufler bin, diesen Satz sehr oft zu hören bekommen. Meine Antwort ist meist nur ein Nicken. Gelegentlich auch Schweigen. Aber ganz selten dieser gequälte Gesichtsausdruck.

Tut mir leid das zu sagen: Aber meine Arbeit macht mir echt Spaß. Selbst. Und ständig.

Das ist auf der einen Seite eine tolle Sache, auf der anderen aber auch ein Problem.

Was mein Job als Web-Designer und Illustrator nämlich mit jedem anderen Job dann wieder gemein hat ist, dass er Energie zieht. Vielleicht sogar manchmal mehr, als andere Jobs das tun. Eben weil ich ihn so gerne und deshalb so intensiv mache. Das kann ich nur vermuten. Spielt aber auch keine Rolle. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Oft genug geht mir die Puste aus. Alleine diesen Punkt jedes Mal früh genug zu erkennen und nicht ins Wunderland des Burnouts einzuziehen ist schon eine Leistung, auf die ich sehr stolz bin.

Ich mache aber trotzdem nie das, was in anderen Jobs “Pause” heißt. Diese kurzen Unterbrechungen der Arbeit. In denen man mit Kollegen plaudert. Rauchen geht. Sowas. Vielleicht weil ich ja gar keine wirklichen Kollegen habe. Eventuell weil ich schon lange nicht mehr rauche. Ganz sicher aber, weil ich den Flow nicht verlieren will. Diesen Zustand, in dem die Arbeit fließt, weil sie soviel Vergnügen macht. Warum sollte ich auch etwas unterbrechen, das Spaß macht? Man macht ja auch nicht z. B. beim Sex einfach mal eine Pause weil “Jetzt ist aber erstmal gut. Ich gehe mal Kaffee holen. Wie fands’te eigentlich den Tatort am Sonntag?”

Spaß bei Seite: Wer schon immer freiberuflich gearbeitet hat, wird das befremdlich finden. Und wer nie freiberuflich gearbeitet hat auch. Aber wer nahezu zwanzig Jahre in einem strukturierten Unternehmensumfeld verbracht hat und dann plötzlich mit den Herausforderungen des Frei in Freiberuflich konfrontiert wird, kann das vermutlich verstehen. Es fehlen die typischen, oft unfreiwilligen Unterbrechungen eines Firmenalltags aus Kollegen, die einen anquatschen und Meetings. Dies völlig ungestörte Arbeiten, gepaart mit einem Job, der einen ausfüllt und antreibt ist eine explosive Mischung.

Huldigt dem Gott der Kackscheiße

Gestern dann hatte ich ein tolles Gespräch mit jemandem, der ähnlich freiberuflich aufgestellt ist wie ich und dem das auch so geht. Das dem die Puste ausgeht. Das sieht dann  bei uns so aus:

Man hat ein tolles Leben mit einem tollen Job und verdient voll okayes Geld und hat sogar alle Geräte von Apple die Sinn machen (Also: Alle) und trotzdem: Alles Kackscheiße. Irgendwie. Wie weiß man aber auch nicht. Ist auch egal. Ist ja Kackscheiße. Das muss genügen als Einsicht.

In diesem Kreislauf aus Euphorie und Kackscheiße befinde ich mich nun seit gut drei Jahren. Dass es vorher anders war, lag eben daran, dass ich bei code-x als Teil eines Teams von irgendwas um die 20 Menschen an Kackscheiße-Tagen auch einfach mal die Tür zumachen konnte und Arbeit simuliert habe, während ich eigentlich die Facebook-Server zum Glühen brachte. Danach war dann gut. Acht Stunden Facebook rücken schnell mal die Synapsen zurecht. Wenn man alleine ist geht das nicht. Logisch.

Mein schönstes Urlaubsfoto.

Mein schönstes Urlaubsfoto.

Also musste eine Lösung her. Als jemand, der sich seit Jahren mit dem Gesamtkomplex Produktivität und Kreatives Arbeiten beschäftigt, denke ich ständig über sowas nach. Wie man mit solchen Dingen umgeht. Zwischen den Jahren hatte ich dann eine tolle Idee. Mehr so ein Gedanke. Ein Name für ein mir noch unbekanntes Konzept. Ich nannte es “Mikrourlaube”. Hatte aber noch keine genaue Idee, was das sein sollte. Nur eben die nächst kleinere Einheit nach Kurzurlauben in St. Peter Ording und Co. Das klang gut. Ich wollte daraus was machen.

Vor einigen Tagen war es dann wieder so weit. Aus einer sechs Woche währenden Mischung aus Kopfschmerzattacken, Deadlines und schlechtem Wetter erhob sich wieder der Gott der Kackscheiße und wollte, dass ich ihm durch Lustlosigkeit und Gewimmere Tribut zolle. Da kam mir aber mein Konzept “Mikrourlaube” wieder in den Sinn, das ich schnell zuende dachte:

Ein Mikrourlaub ist die Umkehrung der Pause. Eine Pause ist etwas passives. Eine Zeit, in der man etwas anderes nicht tut. Ein Mikrourlaub hingegen ist etwas aktives. Ein Zeit, in der man etwas bewusst tut. Man setzt sich nach draußen und schaut in die Sonne. Man geht eine Runde um den Block. Man ruft seine Mutter an, und fragt wie es ihr geht. Oder man setzt sich in der frühen Morgensonne mit einem Käsebrötchen und Milchkaffe auf den Jahnplatz und beobachtet das Treiben der Stadt. Ich wiederhole: Der wesentliche Unterschied zur Pause besteht darin, etwas bewusst zu tun und nicht etwas bewusst sein zu lassen.

Dadurch erschafft man einen Zeitraum, der aktiv mit einer Entscheidung gefüllt ist. Bei einer Pause hingegen reißt man oft ein Loch, in das sich dann Energiefresser wie Facebook oder sinnlose Plaudereinen zwängen. Dieser aktive Teil des Mikrourlaub macht den großen Unterschied. Er eröffnet die Möglichkeit, dass sich das wichtigste Werkzeug eines Kreativen frei entfalten kann: Die Langeweile. Diese Zeit, in der Eindrücke, Inspirationen und Gedankenmüll sich zusammenfügen und zu Ideen werden. Das geht nicht, wenn wir jede Pause ausfüllen mit Timelines, News-Sites und Youtube-Videos.

Der große deutsche Philosoph Benjamin von Stuckrad-Barre schrieb schon mit sehr jungen Jahren den sehr richtigen Satz:

An einer Straßenecke stehen und nichts tun. Das hat Power!
Benjamin von Stuckrad-Barre

Was er nicht wusste: Er hatte soeben den Mikrourlaub erfunden.

Mein erster Mikrourlaub sah dann so aus: Ich fand mich um 10 Uhr morgens wieder. Mit einem Käsebrötchen und einem Milchkaffee aus dem Straßencafé. Auf dem hässlichen, betonesken Jahnplatz in Bielefeld. Und sah den Menschen zu in ihrem Treiben. Für 10 Minuten tat ich nichts anderes. Dann war der Urlaub wieder zuende.

Friss das, Gott der Kackscheiße!

Würde mich freuen zu erfahren, was Ihr darüber denkt. Schreibt mir gerne.

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