Karlsson vom Dach
14.09.2011
Denkt man an Astrid Lindgren, dann denkt man als in Deutschland aufgewachsenes Kind der 70er und 80er garantiert zuerst an Pippi Langstrumpf und dann an Michel aus Lönneberga. Erst dann folgen irgendwann weitere Figuren wie Ronja Räubertochter oder Karlsson vom Dach.
Nachdem ich mich in den vergangenen Jahren intensiv mit Astrid Lindgrens Werk beschäftigen konnte, bin ich mir sicher, dass es an den Verfilmungen liegt. Denn obwohl alle vier Beispiele inhaltlich sehr werkgetreu verfilmt wurden – und ich rede bzgl. Pippi und Michel von den Fernsehserien und nicht von den Spielfilmen, die aus den Fernsehserien zusammengesetzt und verstümmelt sind – ja, obwohl das alles nah an dem ist, was Astrid (der Schwede duzt die größte Schwedin des vergangenen Jahrhunderts) sich erdacht hat, gibt es von Pippi über Michel bis Karlsson einen wesentlichen Aspekt, der die ersten beiden zu wahrem Kulturgut hat werden lassen und letztgenannten dagegen abfallen lässt. Und das ist die Besetzung und die Interpretation der Hauptfigur. Mit Inger Nilsson war die perfekte Pippi gefunden, mit Jan Ohlsson der perfekte Michel und wenn auch bei den Nebenfiguren alles zu passen scheint, hat das bei Karlsson weniger hingehauen.
Karlsson ist ein Mann, kein Junge
Der Karlsson aus den Filmen ist ein pummeliger Junge in jugendlichem Alter mit schütterem Haar. Somit steht er auf einer Ebene mit seinem Buddy Lillebror und damit gegen die Erwachsenen. Die Figur ist von Astrid Lindgren jedoch ganz anders angelegt: Sie beschreibt Karlsson als kleinen, dicken Mann in den besten Jahren. Und auch wenn sein Alter nie genannte wird, ist klar: Karlsson ist ein Erwachsener, kleinwüchsig und dick, benimmt sich aber wie ein Raufbold und Nichtsnutz. Damit steht er aber zwischen Lillebror und den Eltern und hat seine eigene Welt, die er in seinem kleinen Haus auf dem Dach pflegt. Er gibt keinen Öre auf Ordnung und Sauberkeit und was andere tun. Er ist einer der größten Freigeister der Kinderliteratur. Sozusagen ein schwedischer Peter Pan – nur eben erwachsen.
[pullquote]Karlsson vom Dach ist der Tyler Durden der Kinderliteratur[/pullquote]Im Prinzip ist Karlsson kein Sympath und vielleicht deshalb die vielleicht spannendste Figur, die Astrid Lindgren sich erdacht hat. Das Hirngespinst eines Jungen, der von seinen Eltern vernachlässigt, unter der Knute seiner großen Geschwister steht und sich auf dem Schulhof mit anderen prügelt. Man kommt nicht umhin, bald an „Fight Club“ zu denken. Ja: Karlsson vom Dach ist der Tyler Durden der Kinderliteratur. Für mich aus heutiger Sicht definitiv stärker als Pippi Langstrumpf, die sicherlich in ihrem Erscheinungsjahr 1947 für Aufruhr gesorgt hat, heute aber, in einer Zeit jenseits der Emanzipation und am Ende einer patriarchisch geführten Gesellschaft, nur noch niedlich ist. Sie hat die politische Strahlkraft in weiten Teilen verloren. Michel hingegen war nie darauf angelegt. Michel ist eine Erzählung, die vor allem kleinere Kinder anspricht. Mehr muss die Figur nicht tun. Beide Figuren liebe ich sehr und mit beiden hatten meine Kinder und ich viel Spaß.
Wirklich fasziniert hat mich bislang aber nur Karlsson. Ich finde Karlsson vom Dach hätte als einzige Figur eine visuelle Neuinterpretation verdient.
Nur zum Spaß: Mein „Karlsson vom Dach“
Ich weiß aus einem E-Mail-Verkehr mit dem Anwalt, der die Nachfahren Astrids in Deutschland vertritt, dass in absehbarer Zeit keine neuen Zeichnungen für Astrid Lindgren-Bücher geplant sind. Dennoch konnte ich nicht widerstehen, den Karlsson, den ich mir nach dem Lesen des Buchs ausgemalt hatte, auf Papier zu bringen. Somit sind die folgenden Skizzen nur als Arbeitsstudien und Entwürfe zu sehen und waren mir gleichzeitig eine willkommene Abwechslung und Gelegenheit, an meinem Kinderbuch-Zeichenstil zu arbeiten, den ich für ein kommendes Projekt benötige. Aber dazu ein andermal.
Ich freue mich, wenn Euch die Skizzen gefallen, die Ihr mit einem Klick vergrößern könnt.