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Was Poetry Slam ist - eine Meinung.

17.11.2013

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Vor einer Woche, am 9.11.2013 – endete hier in Bielefeld der Slam 2013. Das waren die deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam. Darüber ist vieles gutes geschrieben, einiges kritisches und an der einen oder anderen Stelle auch ein ärgerlicher Verriss in “der Freitag”. Den kann man hier nachlesen:

Poetry Slam im Fußballformat – Voll abgeslammt

Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen. Jeder darf eine Meinung haben.

Hier ist meine: Eva Erdmann, die Autorin des Artikels, ist mit einer völlig falschen Erwartungshaltung nach Bielefeld gekommen. Sie hat lediglich das Finale besucht, aus dem Anspruch heraus, eine Literatur-Veranstaltung zu besuchen. Das ist im Ansatz völlig falsch und zeugt von einer fehlenden Auseinandersetzung mit der Thematik  “Poetry Slam”. Das ist, als gehe man zu einer Musikveranstaltung, erwarte Philharmonie und landet auf dem Hurricane. Weil man sich vorher nicht informiert hat, wo man da hingeht. Schwamm drüber. Neutral betrachtet bekäme der Artikel, wäre er ein Slamtext, von mir nur eine 5,0 weil er nicht besonders gut recherchiert und handwerkliches Stückwerk ist. Er ist einseitig und engstirnig. Damit fiele er als Streichwertung vermutlich weg. Und fertig ist die Laube.

Dennoch hat der Artikel etwas Gutes: Er hat mich dazu gebracht, über Slam und mein Verhältnis dazu nachzudenken.

Was Poetry Slam ist

Richtig hat es der Kulturdezernent Walter Neuling bei seiner Rede zur Eröffnung des Slam 2013 auf den Punkt gebracht, als er folgendes resümmierte: “Poetry Slam” ist längst aus der Literatur-Nische erwachsen und zu einer gänzlich eigenen Kultur-Sparte geworden. Eine Ankopplung an den regulären Literaturbetrieb erfolgt lediglich dadurch, dass es auch um Worte geht. Der Polemiker in mir würde jetzt gerne schreiben, dass es das bei Anleitungen für Staubsaugern auch geht. Und da würden die Erdmänner-Frauen dieser Welt bei fehlendem Tiefgang ja auch nicht “Armes Deutschland” bilanzieren. Aber das will ich nicht schreiben. Worauf ich hinaus will:

Poetry Slam ist keine Literatur. Poetry Slam ist kein Goldfisch. Poetry Slam ist Poetry Slam. Wenn man es kategorisieren wollte, ist es eher eine “Veranstaltungform” als denn “Literatur”. Eher ein “Pop-Konzert” als eine “Partitur”. Letztlich geht es auch um Texte, Worte, ja. Aber die sind irgendwie auch nur Mittel zum Zweck des Wesentlichen:

Poetry Slam ist Zusammenkommen

Mir ging und geht es beim Slam fast nie um den eigentlichen Text. Natürlich mag ich (die meisten) meiner eigenen Slam-Texte sehr gerne und mein “Liebeslied” ist vermutlich der wichtigste Text, den ich jemals geschrieben habe und der Auftritt bei der Slam-Tour von Kuttner nach der Final-Moderation des Slam 2013 die zweitliebste Erinnerung. Aber dass das “Liebeslied” ein Slam-Text geworden ist, ist eher ein Zufall. Rythmus und Länge passten. Also habe ich ihn mitgenommen. Die meisten meiner “wichtigen” Texte – Tänzer!, Dirk, No Flower to place before this Gravestone, Vanderbilt – sind hingegen soweit vom Slam-Format entfernt wie es nur geht. Sie sind viel, viel zu lang, zu sperrig und komplex und traurig um bei einem Slam auch nur eine 3,0 zu bekommen. Dennoch sind sie gut und richtig und wunderschön und ich lese diese Texte viel lieber, als meine erfolgreichsten Slam-Texte: Mutter werden, Kloppenclub, Helau! usw.

Worauf ich hinaus will ist, dass es beim Slam keine generelle Beurteilung eines Textes geben kann. Aber was wird dann beurteilt?

Beurteilt wird nicht der Text an sich, sondern die Fähigkeit des Slammers – oder der Poetin – die Verbindung zwischen sich selbst, dem Text und dem Publikum herzustellen. Der Yogi in mir würde sagen: Die Energie der Menschen im Raum aufzubauen und zu halten. Fühlt das Publikum sich für diese paar Minuten als mindestens gleichwertiger Teil des Zirkus, als der Feuerreifen durch den das Zirkuspony (bitte an dieser Stelle an Jan Philipp Zymny denken) springen muss und der Text ist dabei der Dompteur, der die beiden dirigiert, dann, erst dann zücken die Juroren die 10en und fliegen die Rosen auf die Bühne.

Für alle Beteiligten entsteht zu diesem Zeitpunkt ein Gemeinschaftsgefühl und die Körper schütten irgendwas in irgendwelche Drüsen und alle sind sehr, sehr glücklich. Es ist kein Geben und Nehmen, es ist ein großes Bekommen.

Dass es dabei “lustige” Texte leichter haben als “ernste” Texte liegt in der hormonellen Natur des Menschen begründet. Lachen legt die Kanäle offen und die Säfte fließen und das Glück beflügelt uns, ist das ein Fundament auf dem man die weitere Verbindung aufbauen kann. Ein “ernster” Text hat es dabei wesentlich schwieriger. “Lachen” ist eben etwas, dass man gerne mit anderen teilt. “Trauer” hingegen ist ein Gefühl, mit dem man lieber für sich bleibt. Dennoch, ein anrührendes Stück wie der “Zauberspruch” und auch fast alles von Theresa Hahl und vieles mehr kitzelt schnell mal am Schmetterlings-Nest in unseren Eingeweiden. Und “Verliebtsein”, in was auch immer, ist dann doch wieder etwas, das man gerne herausbrüllt. Mit Applaus und Hände hoch zum Jubel. Schön, dass ihr alle dabei seid, jetzt, da es mir so gut geht.

Somit ist es meist nicht das Anliegen eines Slam-Textes, dem Denken des Publikums etwas intellektuelles hinzuzufügen, es zu belehren. Das kann passieren, richtig gute Slam-Texte machen das auch auf dem Transportweg des Glücks, das mitzuschleppen. Aber das kann immer nur eine willkommene Begleiterscheinung des eigentlichen Anspruchs eines Slam-Textes sein:

Das Publikum zu berühren, es zu kitzeln, bis es die Blockaden des kalten Lebens fallen lässt und man sich dann in die Arme fällt und feiert.

Dies ist der wesentliche Unterschied zum klassischen Literatur-Betrieb der ganz klar zwischen Schaffenden und Konsumierenden unterscheidet. Es ist auch das, was Slam von der oft parallel genannten “Comedy” (Urrggh!) unterscheidet. Auch dort gibt es immer einen Vortragenden und die Zuhörenden und am Ende gehen beide getrennte Wege. Beim Slam hingegen geht es eben darum am Ende zusammenzubleiben. Vielleicht wäre es dann Frau Erdmann auch besser ergangen und sie hätte einen schönen Abend gehabt, wenn sie das versucht hätte, mal mit uns zu sprechen und festzustellen, wie dankbar wir gewesen wären, dass auch sie da war.

Denn ohne sie und all die anderen wäre das alles doch Quatsch.

Dann könnten wir ja gleich Literatur machen.

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