Instagram LinkedIn

Web-Reader #4: Wormworldsaga

22.01.2011

„Furore“ ist das richtige Wort, um zu sagen, was der Web-Comic Wormworldsaga des Güterloher Digital-Künstlers Daniel Lieske aktuell im Web und auf Facebook verursacht. Warum ist das so?

Erst einmal ist Wormworldsaga sachlich gesehen eine sauber erzählte Coming-Of-Age-Geschichte – sofern man das nach einem Kapitel beurteilen und definieren mag. Das von Lieske erstellte Artwork ist dabei wunderschön anzusehen und trifft wohl einen breiten Geschmack, da es sich vom klassischen Einerlei amerikanischer Mainstream-Comcis abhebt ohne dabei den aktuell häufig beobachteten Fehler (bitte unter „Meinung“ ablegen) zu machen, ins avantgardistisch künstlerische zu verfallen. Tatsächlich fällt mir aktuell kein zweiter Comic in einem ähnlichen Stil ein.

Doch genügt das, um Wormworldsaga einen so großen Zuspruch zu verschaffen? Ich vermute nein, denn gute Webcomics gibt es zuhauf.

Was also macht Wormworldsaga so einzigartig. Es sind zwei Dinge:

Infinite Canvas

Es muss mehr sein, um den Ritterschlag von Scott McCloud zu bekommen. Scott McCloud ist Autor des De-Facto Standardwerks über die Rezeption von Comics „Comics richtig lesen“ und zweier weiterer Bücher „Comics machen“ und dem für Lieske wohl inspierenden „Comics neu erfinden“.

Denn in diesem Buch zeigt McCloud Wege auf, was mit Comics in Zeiten von Self-Publishing und Internet möglich ist und wie der Computer als Medium neue Möglichkeiten der Darstellung eröffnet. Unter anderem generiert McCloud die Idee des „Infinite Canvas“. Dabei bricht er das übliche Seiten-Modell für Comics auf. McCloud regt an, den Bildschirm des Computers nicht als Seite zu betrachten, durch das man immer einen Teil des Comics sieht und das man dann bewegt. Somit findet eine flüssigere Betrachtung der Geschichte statt.

The infinite canvas is the idea that the size of a digital comics page is theoretically infinite, and that online comics are therefore not limited by conventional page sizes. An artist could conceivably display a complete comics story of indefinite length on a single “page”. Scott McCloud introduced the concept in his book Reinventing Comics. Wikipedia

Lieske nutzt diese Idee konsequent für Wormworldsaga. Denn anstatt seinen Comic auf Seiten aufzuteilen, zeichnet er seine Geschichte als nahtlose Abfolge von Panels und Establishing Shots untereinander. Dabei verschmelzen Bilder immer wieder ineinander und blenden so verschiedene Erzählebenen immer wieder ineinander über. Um die Geschichte zu lesen muss man nun nichts anderes tun, als im Browser herunter zu scrollen. Der schöne Effekt ist, dass man ständig im Lesefluss bleibt ohne durch Blättern und Ladeunterbrechungen aus der Geschichte herauszufallen. Negativbeispiel ist hier sicherlich der Reader von MyComics, der ein Lesen von Comics am Bildschirm unerträglich macht. Der alte Comic-Hase Ralph Ruthe schreibt deshalb auf Facebook zurecht über Wormworldsaga: „Ich glaube, besser kann man einen Comic im Internet nicht erzählen.“

Self-Publishing

Ist die Entscheidung für den „Infinite Canvas“ als „innovativ“ zu bezeichnen, stellt sich bald die Frage, wieso Lieske dieses tolle Werk einfach so ins Internet stellt und damit die wohl unfassbar viele Arbeit faktisch kostenlos einem Milliardenpublikum vor den Monitoren „schenkt“. Wäre es nicht klüger gewesen, auf den „Infinite Canvas“ zu verzichten und stattdessen das Können und die schöne Geschichte einem Verlag zur Veröffentlichung anzubieten?

Lieske hat sich dagegen entschieden und dafür, die Vermarktung von Wormworldsaga direkt über eine flankierende Website zu versuchen. Dazu kann man nicht nur einfach mittels Paypal spenden – habe ich getan – sondern die Beiträge auch Flattrn (meine übrigens auch ;-) oder Drucke und mehr direkt online bei ihm kaufen. Selbst direktes Sponsoring wird angeboten.

Ob das funktioniert, bleibt zu hoffen aber auch abzuwarten. Denn man wünscht Lieske, dass er mit diesem schönen Werk eben mehr als ein paar Euro im Monat verdient, mit denen er vielleicht seine Server-Kosten bezahlen kann, sondern dass es auch auf lange Sicht genug abwirft, dass ihm die Luft bleibt, die Arbeit an Wormworldsaga mit Freude fortzusetzen. Aktuell wird sicherlich der Rubel rollen. Aber wie wird das in ein paar Monaten aussehen?

Denn wenn das funktioniert und die öffentliche Wahrnehmung von Wormworldsaga so groß bleibt, ist dies vielleicht tatsächlich der Präzendenzfall, Online-Comics aus der Fan-Art-Ecke herauszuholen und vielen talentierten deutschen Künstlern die Chance zu geben, mit ihrer Kunst verdientes Geld zu machen.

More Blogposts:

Make it count.