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Facebook, Zigaretten und die Unendlichkeit der Stadtbibliothek

18.01.2015

Jeder kennt diese Anekdoten über den Partner oder die Partnerin, die man immer wieder jedem erzählt, um diese liebenswerten Verschrobenheiten, die man so sehr ins Herz geschlossen hat, zu verdeutlichen. Eine der Geschichten, die meine Liebste gerne über mich erzählt geht so:

In meiner damaligen Junggesellen-Wohnung am Kilianplatz in der Paderborn hatten wir eines Nachmittags die Idee, einen Schrank in ein anderes Zimmer zu räumen. Gesagt und angepackt. Jedoch mitten in der Aktion, als wir gerade auf Höhe des Flurs und weit vom Ziel entfernt waren, setzte ich den Schrank ab und zündete mir erstmal eine an. Einfach so, aus dem Impuls heraus und völlig unpassend. Ende.

Ein kurze Story. Dennoch ist sie sinnbildlich für meine Art gewesen, wie ich damals mit meinem Nikotinkonsum umging. Er war in mein Handeln eingegangen, wie Niesen oder Atmen. Unbewusst und impulsiv. Um eine längere Geschichte kurz zu machen: Auch aufgrund dieser Episode erkannte ich kurz drauf, wie sehr mir dieses Rauchen im Weg stand und wie oft es in unpassende Momente hineingrätschte, den Fokus in Teilen meines Lebens auf Unwichtiges verschob.

Wenige Monate später – am 1. Juni 2002 – gab ich das Rauchen auf. Vor allem deshalb. Einfach so. Und habe es seitdem nicht eine Sekunde vermisst. Irgendwie habe ich von einem auf den anderen Tag genauso selbstverständlich nicht geraucht, wie ich vorher geraucht hatte.

1999 im LPC (Lucky People Center) in Paderborn.

1999 im LPC (Lucky People Center) in Paderborn.

Exakt genau so, wie in der Geschichte mit dem Schrank, bin ich in den vergangenen Monaten mit meinem Informationskonsum und vor allem Facebook umgegangen. Ich klickte meine Timeline auf, wo immer ich stand und saß. Rollte die Chronik herunter und herauf und die Postings rauschten an mir vorbei. Nahezu jeder freie Platz in meiner Handlungs- und Gedankenkette wurde von dem Impuls eingenommen, mal eben zu schauen, was es Neues gab auf der Welt, Bilder und Gedanken zu posten und wie die Leute auf meine Postings reagiert hatten. Jedes Erlebnis in der realen Welt verwandelte sich in meinem Denken blitzschnell in eine dazu passende Statusmeldung. Dass ich mit Größväterland parallel eine Crowdfunding-Kampagne laufen hatte, deren zentrales Vermarktungs-Instrument Facebook war, machte es nicht besser.

Es gibt immer wieder viel Neues auf der Welt und wenn man wie ich – meine Chronik und Seiten zusammengefasst – weit über tausend Freunde und Fans hat, sind das eine Menge Postings und Meinungen über eine Menge verschiedenster Themen, die einem da ans Medienkonsumherz gelegt werden.

Das wirkliche Problem ergab sich daraus, dass ich seit jeher ein Informationsschwamm bin. Schon damals, zu Hause in Rietberg, las ich so ziemlich jedes Magazin und jede Zeitung die bei uns herumlagen. Von der ADAC Motorwelt bis zur Tageszeitung. Vom Goldenen Blatt bis zur GEO. Und wenn ich damit fertig war, radelte ich nach Gütersloh in die Bibliothek und verbrachte dort Nachmittag um Nachmittag und bildete mich weiter. In einer Welt mit ganz klar definierten Grenzen ist das eine wunderbare Eigenart, die mir viel Wissen in vielerlei Hinsicht beschert hat und mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin: Ein programmierender Grafik-Designer, der sich Nachts als Comic-Zeichner verkleidet und dessen Tarnidentität ein Poetry Slammer ist. Ganz klar: Ich möchte niemand anderes sein.

Die Stadtbibliothek Gütersloh

Die Stadtbibliothek Gütersloh. Quelle: Wikipedia

Das Internet: <3 und :-(

Das Internet ist, so wie es ist, eine wundervolle Erfindung, die vieles verändert hat. Nur eines nicht. Das Raum-Zeit-Kontinuum, die Fundamente der Gesellschaft und den menschlichen Organismus. Noch immer hat ein Tag 24 Stunden. Weiterhin muss der kapitalistische Laden durch Arbeit und Konsum am Kacken gehalten werden. Und bis auf weiteres ist Schlafentzug nicht ohne Grund eine beliebte Foltermethode. (Fun Fact: Der Entzug von Schlaf führt noch vor dem Entzug von Nahrung zum Tod. Nur Wasser ist noch dringender notwendig.)

Facebook hat der Sache nun eine weitere Dimension hinzugefügt. In der Form, als ob alle deine Freunde und Freundesfreunde dir ständig ungefragt ihre Lieblingsbücher aus den verschiedensten Abteilung auf den Tisch in der Cafeteria knallen, in der du mit Cola und Snickers sitzt und schon deine selbst herausgesuchten Medien nicht konsumieren kannst. Du kannst ihnen das nicht verübeln, die zwingen dich ja auch nicht, ihre Dinge zu lesen. Sie empfehlen ja nur. Nur bist du eben ein Informationsschwamm und du kannst die Bücher nicht nicht lesen. Es ist einfach ein wesentliches Merkmal deiner DNA. Es ist du.

Und doch kommst du an diese Punkte, an denen es soviel Raum beansprucht, dass es die Muse killt.

Also: Was tun?

Ich weiß es wirklich nicht. Denn hier ist der ganz wesentliche Unterschied zur oben beschriebenen Geschichte mit dem Rauchen. Rauchen ist etwas grundsätzlich dummes. Es gibt nichts gutes am Rauchen. Nichts. Also: Nichts. Tatsache. Sich aber zu bilden – vor allem über den eigenen Tellerrand hinaus – ist etwas gutes. Es öffnet Türen und Möglichkeiten zu Handeln, die sonst verschlossen blieben. Ich bin mir sicher, ohne Blogs und Facebook und das Feedback meiner dortigen sozialen Kontakte hätte ich den Traum, Comic-Zeichner zu werden, niemals realisieren können. Ich hätte nicht mit Anfang 40 den erneuten Schritt in die Freiberuflichkeit als Web-Designer gewagt.

Ich bin zu 100% sicher, dass Facebook und andere soziale Netzwerke etwas sehr gutes und wichtiges sind. Don’t blame the Bibliothek for the Bücher. Doch der impulsive Aufruf von Facebook zu Zeitpunkten in denen es völlig unangebracht war und der unkontrollierte und ungefilterte Konsum von Medien haben mich dazu veranlasst, die Bibliothek vorerst zu verlassen. Mindestens bis Ende Januar. Undogmatisch, aber konsequent. Ich brauche für die Zukunft eine Strategie.

Mich würde interessieren, welche Strategien ihr habt, mit dieser Informations- und Meinungsflut umzugehen.

Solltet ihr das hier kommentieren wollen, tut das bitte hier im Blog. Kommentare auf Facebook und Co. werde ich – wenn überhaupt – erst später lesen.

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